KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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RezensionKulturation 2/2007
über Guadalupe Rivera , Marie-Pierre Cole / Tanja Grandits:
Mexikanische Feste. Die Fiestas der Frida Kahlo
und: Aroma pur. Meine fröhliche Weltküche
Gunhild Mehlem
Jenseits der kulinarischen Versäulung?
Kaleidoskop-Buch. MĂĽnchen, 2007; AT-Verlag. Baden-MĂĽnchen, 2007
erschienen bei:
Kaleidoskop-Buch. MĂĽnchen, 2007;
AT-Verlag. Baden-MĂĽnchen, 2007.


Die Rede von der “Versäulung”, der Verhärtung der sozialkulturellen Schichten, galt dereinst hauptsächlich für die Niederlande. Inzwischen könnte sie in aktueller Form auch Deutschland und andere europäische Länder betreffen. Das ist nicht zuletzt bei Ess- und Kochkultur der Fall. Oben wird über Auberginen-Samozas mit Chili oder Zwetschgenknödel mit Jogiteeschaum diskutiert, unten dominiert die Mikrowelle oder das inzwischen biologisch aufgemotzte Fastfood. Dazwischen sucht eine von Abstiegsängsten vor Hartz IV oder Altersarmut geplagte Mittelschicht nach kulinarischer Identität u.a. in immer neuen TV-Kochshows, die ihren Zenit vielleicht schon überschritten haben. Die illusionäre Botschaft ist, dass zu Hause in Restaurantqualität gekocht werden könnte, während in Wirklichkeit Tütensuppe weiter vordringt und auch Spitzenrestaurants zunehmend finanzstarke Hotelketten zur Existenzsicherung benötigen.

Die hier vorzustellenden Kochbücher stehen gleichsam “quer” zu dieser kulinarisch-soziokulturellen Versäulung. Warum? “Mexikanische Feste” von Marie-Pierre Cole und der Tochter von Frida Kahlos Lebensgefährten Diego Rivera, Guadalupe Rivera versammelt 145 Rezepte. Laut einem Artikel im “Tagesspiegel” vom 6.Juli 2007 sind sie “angeblich” authentisch. Wie Peter von Becker auf dies “angeblich” gekommen ist, bleibt sein Geheimnis. Denn aus dem Buch geht vieles hervor. Die mexikanische Malerin, Kommunistin und frühe Feministin Frida Kahlo, die 2007 100 Jahre alt geworden wäre, war trotz ihrer Behinderung durch Kinderlähmung eine lebensfrohe Frau, die gerade wegen ihres sozialen Engagements eine authentische mexikanische Küche bevorzugte. Aber dass die Rezepte nicht authentisch seien - das läßt sich beim Lesen und beim Nachkochen nicht erschließen. Und schon gar nicht beim Betrachten. Denn das Buch ist reich illustriert und belegt, wie viele von Frida Kahlos Gemälden erotisch von mexikanischem Obst inspiriert waren.

Die Struktur des Buches ist für ein Kochbuch ausgesprochen untypisch. Es beginnt mit der (stürmischen) Familiengeschichte, gefolgt von persönlichen Reminiszenzen an das Leben mit Frida. Darin geht es auch um Fridas Verhältnis zur Natur und den Menschen. Am Beispiel des Bildes “Die Braut erschrickt vor dem offenen Leben” (1943) erzählen eine frische Wassermelone, das mit Kernen durchsetzte Innere einer Papaya und die starren Augen einer kleinen Eule von geistiger Offenheit und Lebendigkeit genauso wie von Appetit und verhaltener Sinnlichkeit (vgl. Abbildung). Das opulent illustrierte Buch ist gegliedert wie ein Kalenderjahr von August bis Juli, wobei jedem Monat bestimmte Themen zugewiesen werden. So etwa August (“Hochzeit von Diego und Frida”), November (“Tag der Toten”, in Mexiko besonders wichtig), Mai (“Das heilige Kreuz” - auch eine Kommunistin kann religiös und abergläubisch sein), bis hin zum Juli (“Fridas Geburtstag”). Basis waren Kochbücher von Fridas Mutter und Diego de Riveras Leibgerichte. Trotz anfänglicher Eifersucht Frida Kahlos auf Diegos erste Frau waren 1929 die beiden Ehepaare Frida Kahlo/Diego de Rivera und Guadelupe Rivera/Jorge Cuesta zusammengezogen. Guadelupe (die Mutter der Autorin) unterwies Frida in der traditionellen mexikanischen Küche, die sie ihrerseits von ihrer Großmutter Isabel Preciado gelernt hatte. Frida war klar, dass nicht nur die bildende Kunst, sondern auch die Kochkunst wichtiger Teil des gemeinsamen Lebens sein würde. Ihre kommunistischen Überzeugungen spielten (bei bürgerlicher Herkunft) eine weitere Rolle bei der Gestaltung des Essens: “Diego war damals der Ansicht, daß Tafelsilber nur in der Bourgeoisie verwendet werde. Deshalb gab es für die Suppe blau emaillierte Metallöffel, wie sie auf jedem Markt verwendet wurden und alles übrige mußte mit Hilfe von Tortillas gegessen werden” (S.32).

Die Rezepte lassen sich gut kochen, obwohl die verschiedenen frischen Chili-Sorten im Glossar irritieren können. Am besten sind die überall erhältlichen frischen scharfen Chilies. Wir haben Freunde eingeladen und ein wirklich gutes Menu zusammengestellt: Avocado-Dip, schwarze Bohnensuppe, Tinga Poblana (Schweineragout mit Chorizo), Lammfleisch in betrunkener Sauce (Pulque fanden wir nicht, mexikanisches Bier geht auch) und danach Salat von Yamsbohnen und Kaktusfeigen. Zum Nachtisch Fladen mit Anissirup. Die Zutaten - bis auf die Yamsbohnen - lassen sich relativ einfach besorgen, in Berlin etwa am Wittenbergplatz oder am Alexanderplatz. Wir haben viele Rezepte aus diesem Kochbuch in unser Repertoire aufgenommen, z.B. Piccadillo vom Huhn und Schweineragout aus Puebla, wobei wir die Napales (flache Glieder des Feigenkaktus) einfach weggelassen haben.

Alles in allem sind die Gerichte relativ preiswert und zumindest in Großstädten im auf Mexiko spezialisierten Fachhandel (im Buch verzeichnet) auch gut zu erwerben. Der Einband ist abwaschbar. Das ist für ein Kochbuch nicht unwesentlich, obwohl das Buch auch als künstlerisch-kulturelles Dokument separat gelesen bzw. betrachtet werden kann. Der Sonderpreis von 9,95 € ist gerade im Vergleich mit den Werken der Mälzers, Olivers und Wieners unschlagbar.

Auf den ersten Blick völlig anders erscheint das “Aroma pur” von Tanja Grandits. Die namhafte Köchin wurde 1970 geboren. Sie war nach einer Lehre in Baiersbronn im Claridge’s in London und im “Le Pavillon” in Tägerwilen tätig, bevor sie sich 2001 im Restaurant Thurtal in Eschikofen (Schweiz) selbständig machte. Kongenial illustriert hat ihr Kochbuch der Fotodesigner Michael Wissing aus Waldkirch im Schwarzwald. Der aufstrebende Schweizer Küchenstar hat für dieses Kochbuch 15 ihrer Lieblingsaromen ausgewählt - von Basilikum, Pfefferminze und Chili über Gewürze wie Zimt und Vanille bis hin zu Zutaten wie Honig, Ingwer, Limette, Wasabi oder Safran. In 75 Rezepten - von Vorspeisen und Suppen über vegetarische, Fisch- und Fleischgerichte bis zu Desserts - präsentiert sie eine Art Feuerwerk der Düfte, Gewürze und Aromen. Die Gerichte eignen sich je nach Lust und Menüzusammenstellung sowohl als Vorspeise wie auch als leichter Hauptgang.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Aroma, das zu Öl, zu Confiture, zu Pesto oder anderen haltbaren Zutaten verarbeitet wird. Diese eignen sich auch unbedingt als selbstgemachte Geschenke in schönen Glasfläschchen oder Gläsern. Besonders interessant sind die Rezepte mit Lavendel, so Loup de mer in Lavendelsalzkruste oder die lavendelgeräucherte Entenbrust mit Randen-Glasnudelsalat. Bemerkenswert ist auch, dass Tanja Grandits Farben in den Vordergrund stellt. Besonders bei dem Rezept “Rotbarbe mit Rosencouscous und Salsa rosa”. Sie färbt den Couscous und die Sauce mit Randensaft (Rote-Beete-Saft). Die Rotbarbenfilets würzt sie mit rotem Pfeffer. Die Kapitel sind nach Aromen strukturiert: Basilikum, Chili, Ingwer, Kreuzkümmel, Safran usw. Die einzelnen Gerichte haben jeweils drei Hauptkomponenten, also z.B. Lachs mit Ingwer-Glasur und Gurkensalat. Die Zutaten sind meist teuer, vielleicht ist es auch manchmal schwierig, Lavendelblüten oder Rosenblätter zu bekommen. Die Rezepte sind anspruchsvoll, delikat, manchmal geradezu atemberaubend. Nicht immer sind sie leicht nachzukochen, Leserin und Leser bemerken Grandits’ Herkunft aus europäischen Spitzenrestaurants. So trauten wir uns nicht an die “anisgebeizte Lachsforelle mit Limettenblinis und Mango-Limetten-Dressing”, weil uns der Arbeitsaufwand einfach zu groß schien. Wo wir es aber doch taten, lohnte es sich. Beinahe einen Geschmacksorgasmus verursachte bei uns etwa das “Rindsfilet-Tataki mit Sesamsalsa und Chili-Kartoffelpüree”. Empfehlenswert ist auch der “Kabeljau mit Vanille im Pergament gebacken”. Noch nicht getestet haben wir die “Jakobsmuscheln am Zitronengrasspiess mit Verveine-Kartoffelpüree und Salsa verde”. Aber schon die Lektüre ließ uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Das gilt auch für einige Nachspeisen, z.B. das “Blutorangen-Safran-Sorbet” oder der “Chili-Schokoladen-Kuchen mit Gewürz-Kürbiseis”.

Während Frida Kahlos mexikanische Fiesta auf den Traditionen einer ländlichen lateinamerikanischen Küche beruht und entsprechend deftig und scharf gewürzt ist, sind Tanja Grandits’ aromatisch akzentuierte Gerichte eher delikat und “sophisticated”, selbst wenn mit scharfen Chilies gewürzt wird, wie z.B. beim Seeteufel-Ceviche mit Limetten und Tomaten. “Quer” zur eingangs erwähnten “kulinarischen Versäulung” stehen beide Bücher ganz unterschiedlich. Rivera/Colle präsentieren ein kulturhistorisches Dokument zur mexikanischen Küche mit hinreißenden Illustrationen. Bei Grandits dagegen geht es um eine raffinierte internationale Küche auf höchstem Niveau. Reizvoll, schmackhaft und daher empfehlenswert sind trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Unterschiede beide Kochbücher.