Rezension | Kulturation 2/2005 | über Ingrid und Gerhard Zwerenz: Sklavensprache und Revolte. Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West | Volker Gransow | Delikate pornografische Archetypen Berlin: Schwartzkopff Buchwerke 2004, 552 S., ⏠29,00. | Dies Buch erscheint aus Anlass des 120. Geburtstages von Ernst Bloch und des 80. Geburtstages von Gerhard Zwerenz im Jahre 2005. Wer war Ernst Bloch? Wer sind Ingrid und Gerhard Zwerenz?
Ernst Bloch (1885-1977) hatte schon 1918 mit âGeist der Utopieâ seine Hoffnungsphilosophie vorgestellt und sie nach der RĂŒckkehr aus dem amerikanischen Exil nach Leipzig ab 1947 mit Werken wie âSubjekt-Objektâ und âDas Prinzip Hoffnungâ ergĂ€nzt. Seit der Ăbersiedlung nach TĂŒbingen 1961 folgten âNaturrecht und menschliche WĂŒrdeâ, âAtheismus im Christentumâ und âExperimentum Mundiâ. Beeinflusst von Karl Marx, Friedrich Nietzsche und der Bibel formulierte er Grundkategorien seines Denkens wie âaufrechter Gangâ, âkonkrete Utopieâ, ânoch nichtâ, âUngleichzeitigkeitâ und âWĂ€rmestromâ.
Ingrid (geb. 1934) und Gerhard Zwerenz (geb. 1925) studierten in den fĂŒnfziger Jahren bei Bloch in Leipzig Philosophie. SpĂ€ter arbeiteten sie journalistisch und schriftstellerisch. Ihre Teilnahme am âAufstand der Intellektuellenâ (Heinz Kersten) in der DDR 1956 hĂ€tte beinahe zur Verhaftung gefĂŒhrt, wenn sie nicht rechtzeitig in den Westen geflohen wĂ€ren - den Westen des KPD-Verbots, von Globke und Adenauer, aber auch der âFrankfurter Rundschauâ und der âGruppe 47". Ingrid publizierte hier etwa âvon Katzen und Menschenâ oder âFrauen - die Geschichte des § 218", wĂ€hrend Gerhard mit politischen Essays und deftiger erotischer Prosa hervortrat. Dem ersten Deutschen Bundestag nach der Vereinigung gehörte Gerhard Zwerenz nicht als PDS-Genosse, wohl aber als Mitglied der PDS-Fraktion an. Mit Hinweisen auf seine lupenreine antistalinistische Vergangenheit brachte er dort manche Vertreter der damaligen schwarz-gelben Regierungsfraktionen ins Schleudern. Eine gewachsene Freundschaft verband das Ehepaar Zwerenz nicht nur mit Ernst Bloch, sondern auch mit seiner ebenfalls hochbegabten Frau Karola.
WohlĂŒberlegt haben Autorin und Autor Titel und Untertitel gewĂ€hlt. âSklavenspracheâ war erst einmal ein nicht eingelöster Arbeitsauftrag Blochs an Gerhard Zwerenz, aber auch ein Problem, mit dem der langjĂ€hrige BefĂŒrworter der Moskauer Prozesse und Verehrer Stalins selbst zu kĂ€mpfen hatte. âRevolteâ - das ist jene Meuterei ostdeutscher demokratisch-sozialistischen Intellektueller von Wolfgang Harich und Walter Janka bis zu Erich Loest und GĂŒnter Zehm im Jahre1956, die erst vom Ministerium fĂŒr Staatssicherheit zur Verschwörung gestempelt wurde. Anders als gleichzeitig in Ungarn und Polen gab es in Deutschland keine Beteiligung der Arbeiterschaft - die war schon im Juni 1953 zum Schweigen gebracht worden. Die Strafen fĂŒr aufmĂŒpfige Denker waren abgestuft: Zwangsemeritierung fĂŒr Ernst Bloch, Jobverlust fĂŒr Manfred Buhr, fĂŒnf Jahre fĂŒr Walter Janka, zehn Jahre Bautzen fĂŒr Wolfgang Harich. Und das sind nur die prominentesten Rebellen. Im Untertitel geht es auch um den âBloch-Kreisâ (also nicht nur Blochs SchĂŒlerinnen und SchĂŒler) und dessen Feinde in Ost und West, mithin Strukturkonservative da und dort.
Verfasserin und Verfasser nĂ€hern sich ihrem Thema nicht wissenschaftlich-historisch, sondern literarisch-essayistisch. Sie umkreisen es aus verschiedenen Perspektiven, wobei notwendig Redundanzen entstehen. Der Einstieg ist biografisch-autobiografisch, vom âVorspiel in Heidelbergâ bis zu âBegrĂ€bnisâ und âTrauerfeierâ. Es wird geheiligt und entheiligt, vor allem Letzteres. Bloch zitierte laut Ingrid Zwerenz âdelikate pornographische Archetypen, so die von einem Schreiner bei Balzac, der erotisch rekurrierte und âbeschloss, seinen Hosenladen fortan geschlossen zu haltenâ. Vom doppeldeutigen Hosenladen geriet die Unterhaltung zwanglos auf das, was sich gemeinhin dahinter verbirgt, und Ernst Bloch freute sich in schöner Assoziation seiner Anschrift, wir hier im Schwanzer, sagte er und bemerkte zunĂ€chst nichts vom indignierten Zug im Gesicht der lieben Inge Jensâ (S.13). Oder: auf Rudi Dutschkes Rede an Blochs Grab hin âfielen verschiedene aus der Rolle, als erster Uwe Johnson, von dem Karola Bloch im Juni 1979 empört berichtete, er sei schon besoffen zur Beerdigung gekommenâ (S.48).
Das autobiografische Element wird auch im zweiten Kapitel durchgehalten. Ăber lange Strecken geht es nicht so sehr um Bloch als vielmehr um die Erfahrungen und Erlebnisse von Ingrid und besonders Gerhard Zwerenz. Auch dies ist nicht uninteressant, und meist gibt es ein âLeipziger Allerleiâ - um den Titel eines Artikels von Zwerenz im âSonntagâ zu paraphrasieren, der ihm mĂ€chtige Kritik des Parteiestablishments eintrug. Gerhard Zwerenz polemisiert auch gegen einen, der âim Westen Karriere gemacht hatâ und gegen einen âgroĂen DDR-Dichterâ, der bei Bloch âunter die GĂŒrtellinie gezieltâ habe (S.93). Wer wohl gemeint ist? Fritz J. Raddatz und Hermann Kant, vermutet der Rezensent. Aber neben diesem heiteren RĂ€tselraten geht es immer wieder zur Sache. Eine Kernthese findet sich auf den Seiten 74 und 75: âĂberzeugt, die Zweite Revolution lieĂe sich nur als Folge des Roten Oktober erreichen, baute er seine eigene Revolutionstheorie 1933 im Exil und von 1949 an in Leipzig aus, per Sklavensprache getarnt. 1956 verwarf er die Tarnung und revoltierte.â
Im Zentrum des Buches steht die âLeipziger Genossenschlachtâ. Zwerenz hatte im âSonntagâ im Oktober 1956 geschrieben :âWieviel DruckerschwĂ€rze wurde nicht vergeudet fĂŒr rosarote Aufbaumeldungen, aber die Wirklichkeit verlangt Ziegel und Beton ... in der Vergangenheit wurde wohl zuviel gejubelt, und es ist an der Zeit, mit allem Nachdruck zu sagen, dass viele TrĂŒmmer noch der Beseitigung und viele, sehr viele HĂ€user noch des Aufbaus harrenâ (S.198). Harmlos, nicht wahr? Aber nicht fĂŒr den Leipziger SED-Chef Paul Fröhlich und die KulturfunktionĂ€re Gerhard Henniger und Siegfried Wagner. FĂŒr sie war das Konterrevolution. Zwerenz blieb nur die Flucht und ein PlĂ€doyer fĂŒr einen anderen Exkommunismus, der nicht âRenegatenâ wie Arthur Koestler und Ignazio Silone folgen wollte. Das war unter direktem Einfluss von Empfehlungen Ernst Blochs, der ab 1957 mundtot gemacht worden war, aber dennoch zunĂ€chst in der DDR ausharrte.
Erst 1991 bekam Zwerenz das Protokoll eines dreifachen Genitivs: âSitzung der Parteigruppe des PrĂ€sidialrates des Kulturbundes.â in der Zeitschrift âUtopie kreativâ zu lesen. Es schockierte ihn anscheinend mehr als seine gesammelten Stasi-Akten. Weniger wegen Kurt Hager und Siegfried Wagner (â1957 trieb dieser Kulturgeneral ... Conrad Reinhold und ... Christina Burgert aus und in den Westen ab. Dem Jazz-Fachmann Reginald Rudorf schickte er Kampfgruppen aufs Podium. Der Mann landete im Krankenhausâ, S. 270). Sondern wegen Ernst Bloch. Bloch beschuldigte bei dieser Sitzung am 12. Dezember 1957 Zwerenz, âLĂŒgen zu verbreiten, den Sozialismus zu verraten, es fĂŒr Geld zu tun, die Kritik von âauĂenâ zu betreiben, statt von innen. Dreieinhalb Jahre spĂ€ter beging er all diese Verbrechen selbstâ (S.271). Zwerenz ĂŒberlegt nicht, ob Bloch ihn deshalb âbeschuldigtâ haben könnte, weil, anders als andere Mitstreiter Blochs, Zwerenz schon im sicheren Westen saĂ. Stattdessen hadert er 17 Seiten lang mit seinem Professor und spĂ€teren Freund, um dessen Werk dann trotzdem als âneues Projekt einer zweiten europĂ€ischen Reformationâ (S. 288) zu feiern.
Das Buch enthĂ€lt einiges an Klatsch, mehr oder minder vornehm bemĂ€ntelt. So erfahren wir: âĂberkreuz-Verkehr mit dem Ehepaar Adorno wĂ€hrend der USA-Emigration wird kolportiert.â Dann wird gleich nachgeschoben: âAbgesehen davon, dass es keinen etwas anginge, ist es wohl Legendeâ(S.55). Man liest so etwas natĂŒrlich besonders gerne, nach dem bekannten Motto einer groĂen Boulevardzeitung: âDAS wollen wir nie wieder lesen!â Aber wir erfahren auch von einem âMdB, der 1990 als DDR-Minister auf GeheiĂ Bonns den ehemaligen Volksarmee-Kasernen die Benennung nach antifaschistischen WiderstandskĂ€mpfern verbot.â Wer mag das gewesen sein? Etwa Rainer Eppelmann? Der âvormalige erklĂ€rte DDR-Pazifistâ hatte einen Vater, der âals SS-Mann und KZ-WĂ€chter Dienst getan hatte. Kein Sohn ist fĂŒr seinen Vater verantwortlich, doch die Real-Symbolik spricht fĂŒr sichâ (S.485). Das berĂŒhrt eher unangenehm. Oder: trotz eines Umfangs von 552 Seiten heiĂt es: âAus GrĂŒnden, ĂŒber die genauer zu sprechen jetzt zu weit fĂŒhren wĂŒrde ... ĂŒbernahm Ernst Bloch schon im amerikanischen Exil stalinistische Positionenâ (S.294). Wieso wĂŒrde das denn zu weit fĂŒhren? Gerade in einem Buch ĂŒber Sklavensprache, Revolte und den Bloch-Kreis möchten Leserin und Leser vielleicht gerne Genaueres ĂŒber Blochs VerhĂ€ltnis zu Stalin und dem Stalinismus erfahren. Eventuell sah Hegel-Kenner Bloch den Weltgeist ja als Bediener einer Stalinorgel?
Trotz solcher EinwĂ€nde ist der Text ĂŒber weite Strecken informativ und anregend. Immer wieder taucht Blochs VerhĂ€ltnis zu Erotik, Erektion und Ekstase auf, wenn auch keineswegs so systematisch wie in Hanna Gekles bereits 1986 in Frankfurt (Main) erschienener Studie âWunsch und Wirklichkeit. Blochs Philosophie des Noch-Nicht-BewuĂten und Freuds Theorie des UnbewuĂtenâ. Weitere Punkte werden interessant angedeutet, aber nicht ausfĂŒhrlich behandelt, so etwa die legendĂ€re Ost-Berliner âFreiheitskonferenzâ von 1956 und die vorhergehende mehrjĂ€hrige Hegel-Marx-Debatte in der âDeutschen Zeitschrift fĂŒr Philosophieâ, die schlieĂlich mit dem Einstampfen des letzten Heftes 1956 und einer geradezu Orwellschen neuen Paginierung endete.
Summa summarum: wer die LektĂŒre ganz genieĂen will, braucht solide Vorkenntnisse von Kultur und Politik im 20. Jahrhundert. Zudem sollten Leserin und Leser VerstĂ€ndnis fĂŒr zahlreiche Wiederholungen und Abschweifungen mitbringen. DafĂŒr gibt es zur Belohnung vielfĂ€ltige Anregungen, Informationen aller Art, Provokationen - und gelegentlich auch eine krĂ€ftige Portion aus der GerĂŒchtekĂŒche.
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