KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
 Start  Reports  Themen  Texte  Zeitdokumente  Kritik  Veranstaltungen 
 Editorial  Impressum  Redaktion  Forum  Suche 
RezensionKulturation 1/2004
über Elka Tschernokoshewa / Dieter Kramer (Hrsg.):
Der alltägliche Umgang mit Differenz. Bildung – Medien - Politik
Volker Gransow
Differenzkultur
Waxmann Verlag, MĂĽnster / New York / MĂĽnchen / Berlin 2001, 206 S., 19,50.
Elka Tschernokoshewa und Dieter Kramer sind für die "Kulturation" keine Unbekannten. Trotzdem wurde der vorliegende Sammelband leider hier bisher nicht rezensiert – ein korrigierbares Versäumnis. Elka Tschernokoshewa leitet die Abteilung Empirische Kulturforschung am Sorbischen Institut in Bautzen; Dieter Kramer lehrt an der Universität Wien und ist Oberkustos am Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main. Der von ihnen herausgegebene Band 2 der Schriftenreihe "Hybride Welten" enthält offenbar bearbeitete Beiträge zu einer Tagung, die gemeinsam vom Sorbischen Institut Bautzen und der Gesellschaft für Ethnographie veranstaltet wurde.

Wie werden so unterschiedliche Themen wie Türken in Nordrhein-Westfalen, Slowenen in Triest, Aborigines in Australien, Sorben in Deutschland, unkonventionelle Kunst in Bulgarien und der Globalisierungsprozess zusammengebracht? Die Antwort geben Herausgeberin und Herausgeber in einer stringenten Einleitung und einer durchstrukturierten Anordnung der verschiedenen Beiträge.

Elka Tschernokoshewa entwickelt zu Beginn sechs Thesen. Zunächst plädiert sie für einen Perspektivenwechsel (z. B. die Erforschung europäischer Kulturen durch Afrikaner). Zweitens sieht sie als das Besondere an einer Minderheitenperspektive, dass sie strukturell multiperspektivisch ist. Weiter sind für sie Minderheiten Vorreiter der globalen Moderne. Viertens behauptet sie, dass Differenz und Similarität sich nicht grundsätzlich ausschließen, sondern konzeptionell gebündelt werden können. Fünftens attackiert sie Praktiken der Exklusion, die den Referenzrahmen von Kultur auf "weiß, männlich, bildungsbürgerliche Mittelschicht" reduzieren. Ihre letzte These ist die Existenz hybrider (vermischter, nicht-homogener) Welten als Herausforderung für die Kulturwissenschaft.

Im Anschluss an diese Überlegungen ist der Sammelband in drei Teile eingeteilt. Ein erster Teil handelt von Fallbeispielen aus den Bereichen Bildung und Medien. Meryem Neriman Postaci untersucht etwa Sprachschwierigkeiten der dritten Generation von in Nordrhein-Westfalen lebenden türkischen Schülerinnen und Schülern und stellt zunehmende Desintegration fest. Jacqueline van Gent berichtet von der aktiven Einbeziehung australischer Aborigines ins eigene Bildungsdesign als Teil eines "two-way-lerning Prinzips" – eine positivere Erfahrung.

Im zweiten Abschnitt geht es um die Entstehung von homogenen und hybriden Welten. Er wird eingeleitet durch Marija Juric-Pahors Analyse von Mythos und Realität des nationalen Homogenitätsprinzips am Beispiel Triests im 19. und frühen 20.Jahrhundert. Die Hafenstadt, am Schnittpunkt der (romanischen, slawischen und germanischen) Kulturen gelegen, und durch ethnische, religiöse, sprachliche und kulturelle Heterogenität charakterisiert, geriet in einen durch den italienischen Faschismus noch gesteigerten nationalistischen Strudel. Gleichwohl verweigerte sich die triestinische Bevölkerung der binären Einteilung in "wir" und "sie". Triest ist auch noch heute Labor für die Entdeckung fragmentarischer und multipler Identitäten. Konstanze Glaser vergleicht die Situation des Gälischen in Schottland mit dem Sorbischen in Deutschland und stellt damit jene transnationale Vernetzung her, die nach Dieter Keiner Chance der Minderheiten ist.

Der letzte Teil des umfangreichen Buches handelt von Differenzen in der Diskussion. Nicht alle Beiträge können hier referiert werden, doch sei noch auf Dieter Kramer verwiesen, der einen Bogen von der Kulturanthropologie bis zur aktuellen Diskussionen schlägt und kulturelle Diversität mit einer homogenisierenden Globalisierung konfrontiert.

Leider fehlen ein Sach- und Personenregister. Dafür besticht der gleichzeitig kulturwissenschaftliche und interdisziplinäre instruktive Sammelband aber durch ungewöhnliche Resümees, nämlich in deutscher, englischer und sorbischer Sprache. Unkonventionell und positiv beeindruckend sind auch die mehreren Beiträgen vorangestellten Zeichnungen und Radierungen von Maja Nagel/Maja Nagelova , die mit Themen wie "Brücke", "Vielfaches", "Zweisam" oder "Reigen" nicht nur zum interkulturellen Diskurs beitragen, sondern auch zum Dialog zwischen Kultur(-wissenschaften) und Kunst.