KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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ReportKulturation 2/2003
Isolde Dietrich
Hammer, Zirkel, Gartenzaun
SED-Politik gegenĂŒber den KleingĂ€rtnern
Reihe Autoren im Netz
Interview: Dietrich MĂŒhlberg
Du hast Dein Buch “Hammer, Zirkel, Gartenzaun” genannt. Suchmaschinen werden es vielleicht als Heimwerkerbuch fĂŒr Gartenfreunde einordnen, denn sie lesen den Untertitel nicht: “Die Politik der SED gegenĂŒber den KleingĂ€rtnern”. Was muss man sich darunter vorstellen, wovon handelt das Buch, worum geht es, was ist daran heute interessant?

Zugegeben - der Titel klingt etwas nach Baumarkt. Und tatsĂ€chlich haben ihn manche Internetanbieter unter “Gartenbau” bzw. “Kochen-Lifestyle-Garten-Pflanzen...” eingereiht.
Ich hatte bei der Überschrift aber an das Staatswappen der DDR gedacht. Da hĂ€tte eigentlich auch ein Symbol des Kleingartens hineingehört, wenn man den gesellschaftlichen Rang bedenkt, der ihm beigemessen wurde. Denn aus der Sicht der Staatspartei war der ideale DDR-BĂŒrger einer, der sich tagsĂŒber voll in seinen Beruf hineinkniete und nach Feierabend mit gleichem Einsatz sein eigenes Obst und GemĂŒse anbaute, möglichst auch noch Kaninchen oder HĂŒhner hielt.

Das Buch zeigt, wie und warum die SED-FĂŒhrung entgegen frĂŒheren Vorstellungen schließlich zu so einer Auffassung kam und was sie unternahm, um dieses Ziel durchzusetzen. Es ist also kein Ratgeber fĂŒr den Gartenfreund, keine Studie aus dem Kleingartenmilieu, keine Organisationsgeschichte des Verbandes der KleingĂ€rtner, Siedler und KleintierzĂŒchter (VKSK). Es handelt sich um ein politisches Sachbuch, das die Haltung der SED gegenĂŒber der KleingĂ€rtnerei aus nachgelassenen Dokumenten zu rekonstruieren und zu erklĂ€ren versucht.

Mir ging es dabei weniger um “VergangenheitsbewĂ€ltigung”. Die kleinen GĂ€rten sind weltweit wieder im Kommen. Von Tokio bis New York, von Nairobi bis Havanna mĂŒssen Stadtverwaltungen und Parlamente, Regierungen und Parteien auf diese Entwicklung antworten. Die Reaktion fĂ€llt unterschiedlich aus, reicht vom Niederwalzen ĂŒber das stillschweigende Dulden bis zur umfassenden Förderung. Da fand ich es interessant, einmal am geschichtlichen Modell einer Partei dem Wandel in den Ansichten und in der praktischen Politik nachzugehen. Vor diesem Hintergrund verblassten die ideologischen AbsichtserklĂ€rungen und politischen Sinnzuweisungen. Übrig blieb ein rechtlich und wirtschaftlich gesicherter Rahmen, in dem Hunderttausende eigene Ziele verfolgen konnten und lernten, sparsam mit nicht unbegrenzt zur VerfĂŒgung stehenden Ressourcen umzugehen.


Hast Du eine persönliche Beziehung zum untersuchten Gegenstand? Bist Du vielleicht selbst KleingÀrtnerin?

Ja und nein. Ich kenne das Leben in der Laubenkolonie, habe selbst eine Parzelle, seit 35 Jahren. Von Kleingartenpolitik habe ich da allerdings kaum etwas gespĂŒrt, vielleicht weil ich nie zu einer Gartenversammlung gegangen bin und auch die KleingĂ€rtnerzeitung nicht gelesen habe. Jedenfalls sind die unzĂ€hligen BeschlĂŒsse und Direktiven, Instruktionen und Verordnungen, von denen mein Buch jetzt eine Auswahl enthĂ€lt, irgendwie völlig unbemerkt in großer Ferne an mir vorbeigezogen. Eigentlich bin ich erst durch das Leipziger KleingĂ€rtnermuseum darauf gestoßen. Von dort kam Mitte der 90er Jahre die Bitte, im Bundesarchiv nach Dokumenten zur Kleingartenpolitik der SED zu schauen. Ich habe leichtfertig zugesagt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass da viel zu finden ist. Ich dachte die Sache in zwei Wochen hinter mich zu bringen. Daraus sind - mit Unterbrechungen - fast sechs Jahre geworden.

Nun ist Archivarbeit ja wirkliche KĂ€rrnerarbeit. Aber wer einmal Blut geleckt hat, kommt nicht mehr davon los. So habe ich dann 43 Jahre SED-Politik am Beispiel des Kleingartenwesens verfolgt und allmĂ€hlich den Mechanismus begriffen, nach dem Partei, Staat und Gesellschaft funktionierten. FĂŒr mich war dies das eigentlich Aufregende am Thema. Als Insider der Kleingartenszene hatte ich zusĂ€tzlich meinen Spaß. Weil ich die Lage vor Ort kannte, habe ich die Dokumente nicht fĂŒr bare MĂŒnze genommen, wusste, dass sie keine Tatsachen abbildeten, sondern nur Auffassungen darĂŒber. Die komische Diskrepanz zwischen offiziellen Legitimationen und der realen Lebenswelt Kleingarten schien noch in der drögesten Parteiberichtsprosa durch. Bei aller Beklemmung gab es immer auch viel zu lachen.


Gibt es andere Arbeiten von Dir zu den beiden Themenkreisen “SED-Politik” und “Kleingarten”?

Beide Themenkreise gehörten nie zu meinen beruflichen Arbeitsfeldern. Deshalb habe ich dazu bis zur Wende auch nichts veröffentlicht - mit einer kleinen Ausnahme. Das war der Katalog zur Ausstellung Parzelle, Laube, Kolonie - KleingĂ€rten zwischen 1880 und 1930”, die 1988/89 im Museum Berliner Arbeiterleben um 1900 lief. Diese Sache hatte ich aber nur notgedrungen ĂŒbernommen, mich dabei auf Vorarbeiten anderer gestĂŒtzt. Die Erfahrungen mit dieser Ausstellung habe ich im Sommer 1989 auf einer Fachtagung zur Diskussion gestellt (vgl. Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung Nr. 27, Berlin 1990, S. 89-100). Als Anfang der 90er Jahre das Projekt Arbeiterkultur an der Humboldt-UniversitĂ€t abgebrochen wurde, hatte ich mich gerade etwas fĂŒr das Kleingartenthema erwĂ€rmt. Seit dem beruflichen Aus war kontinuierliches Arbeiten an einem Gegenstand nicht mehr möglich. Dennoch sind im Laufe der Jahre etwa zehn BeitrĂ€ge fĂŒr Zeitschriften und SammelbĂ€nde entstanden, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Kleingarten beschĂ€ftigten. Dazu gehörten u.a. Abschied von der Laubenkolonie? in Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung Nr. 37, Berlin 1996, S. 346-361, Mikrokosmos Kleingarten in Berliner Debatte INITIAL, 10 (1999), S. 63-73 sowie ‘Ne Laube, ‘n Zaun und ‘n Beet. KleingĂ€rten und KleingĂ€rtner in der DDR in: Evemarie BadstĂŒbner (Hrsg.), Befremdlich anders. Leben in der DDR. Berlin 2000, S. 374-414. Beim Kleingartenthema kann ich inzwischen etwas mitreden, zu den SED-Forschern rechne ich mich nicht.


Die marxistisch orientierte deutsche Arbeiterbewegung war doch ein Gegner der KleingĂ€rtnerei. Friedrich Engels hat in seinem Aufsatz zur “Wohnungsfrage” ganz grundsĂ€tzlich die sog. Eigenheime und jede andere Art von Schollenbindung fĂŒr das moderne Proletariat abgelehnt. 1930 schrieb Erich Weinert das satirische Gedicht “Ferientag eines Unpolitischen” (“Der Postbeamte Emil Pelle hat eine Laubenlandparzelle, wo er nach Feierabend grĂ€bt und auch die Urlaubszeit verlebt”), darin zĂ€hlt er minutiös alle Seiten der Laubenpieperei auf um die Illusion zu kritisieren, dass ein Leben ohne politisches Engagement möglich ist. War das nach 1945 plötzlich anders, hat Ulbricht denn die KleingĂ€rtnerei gefördert?

Den unpolitischen KleingĂ€rtner halte ich fĂŒr eine bĂŒrgerliche Erfindung. Das haben sich Leute ausgedacht, die im 19. Jahrhundert Gartenkonzepte fĂŒr stĂ€dtische Unterschichten entwickelten und dafĂŒr Land brauchten. Heute wĂŒrde so etwas wohl unter Projektantragslyrik fallen. Das Bild vom KleingĂ€rtner, der sich in seiner Freizeit nur um seine Parzelle und um seine Familie kĂŒmmert, den Alkohol meidet und auch sonst nicht ausschweifend lebt, keine politischen Forderungen erhebt und sich von organisierten Aktionen fernhĂ€lt, ist seinerzeit unter einem bestimmten Legitimationsdruck entstanden. Die Protagonisten des Kleingartengedankens hatten damit bei Kommunen, Unternehmern, Kirchen und anderen GrundeigentĂŒmern Erfolg. Die Aussicht auf handzahme, zufriedene, loyale und nicht zuletzt gesunde StaatsbĂŒrger und ArbeitskrĂ€fte ĂŒberzeugte.

Damit hatte die Kleingartenbewegung von Beginn an eine antisozialistische Tendenz. Sie sollte der erstarkenden Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln nehmen. So gesehen waren Marxisten völlig im Recht, wenn sie auf Distanz gingen. Ob die KleingĂ€rtnerei allerdings jemals die erhofften oder befĂŒrchteten Wirkungen hatte, ist nie untersucht worden. Vielleicht ist Erich Weinert in diesem Punkt nur der bĂŒrgerlichen Agitation auf den Leim gegangen.

Fest steht aber, dass die deutschen Kleingartenvereine, selbst ganze VerbĂ€nde, zu Beginn der 30er Jahre DomĂ€nen der Sozialdemokratie geworden waren. Man mĂŒsste nun hier die ganze Geschichte der Arbeiterbewegung aufrollen, die FlĂŒgelkĂ€mpfe um Grundfragen, das VerhĂ€ltnis zu Reform und Revolution. Jedenfalls schieden sich zu dieser Zeit auch am scheinbar so beschaulichen Kleingartenthema die Geister ganz grundsĂ€tzlich.

Ulbricht war nie ein Freund von KleingĂ€rten. Er hat sie auch nicht gefördert. Seine Ressentiments stammten alle aus der Zeit vor 1945, rĂŒhrten vor allem aus den Querelen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten und aus seinen Erfahrungen in der Sowjetunion. Dort wurde der Sozialismus schließlich auch ohne KleingĂ€rten aufgebaut. Dass Engels’ Schriften zur Lage der arbeitenden Klasse in England und zur Wohnungsfrage dabei eine grĂ¶ĂŸere Rolle spielten, glaube ich kaum. Die bezogen sich doch vor allem auf die lĂ€ndliche Hausindustrie, auf kleinbĂŒrgerliche Lösungen, bei denen “HĂ€uschen, GĂ€rtchen und Feldchen” MobilitĂ€t wie Kommunikation behinderten und “Knechtsseelen” erzogen.

Ulbricht war in der Kleingartenfrage in einem wirklichen Dilemma. Aus ernĂ€hrungspolitischen GrĂŒnden hĂ€tte das Kleingartenwesen gefördert werden mĂŒssen. Dagegen sprachen alle Vorstellungen von der kĂŒnftigen sozialistischen Gesellschaft und vor allem sicherheitspolitische Bedenken. Er befĂŒrchtete, dass mit einem blĂŒhenden Kleingartenwesen in der SBZ bzw. DDR auch die alten politischen Orientierungen, sprich der “Sozialdemokratismus” wieder die Oberhand gewinnen wĂŒrden. Heute erscheint die Sorge skurril, dass ausgerechnet die Zunft der HobbygĂ€rtner und KaninchenzĂŒchter den Staat hĂ€tte aus den Angeln heben können. Das Bild vom unpolitischen KleingĂ€rtner hat sich unter Ulbricht in das Klischee vom politisch unsicheren Kantonisten gewandelt, der besonderer Aufsicht und Kontrolle bedurfte. DafĂŒr eine dauerhafte Form zu finden, war selbst fĂŒr so einen alten Organisationsfuchs wie Ulbricht nicht einfach. Das gelang erst mit der GrĂŒndung des VKSK, vierzehn Jahre nach Kriegsende, im sechsten Anlauf. Noch lĂ€nger dauerte es, bis KleingĂ€rten und KleingĂ€rtner von der SED wirklich akzeptiert und gefördert wurden. Genau genommen wĂ€hrte das KleingĂ€rtnerparadies DDR nur von 1977 bis 1989. Heute wird manchmal vergessen, dass diese letzten zwölf Jahre der HoneckerĂ€ra ja nur eine relativ kurze Zeitspanne in den 43 Jahren SED-Herrschaft ausmachten. Davor wurde das Kleingartenwesen immer politisch beargwöhnt und auf Sparflamme gehalten.


BestĂ€tigen Deine Untersuchungen die These, dass der strategische Schwenk, den die kommunistischen Parteien sozialistischer LĂ€nder 1970/71 vollzogen haben, den Übergang von der Arbeitsgesellschaft in eine Freizeit- und Konsumgesellschaft nachvollzogen oder eingeleitet hat? Hast Du Wandlungen im Gesellschaftskonzept auf der Ebene der “Kleingartenpolitik” bemerkt?

Von diesem strategischen Schwenk war in der Kleingartenpolitik zunĂ€chst nichts zu spĂŒren. Im Gegenteil, es herrschte große Verunsicherung, um nicht zu sagen Eiszeit. Sieben Jahre lang fand kein Verbandstag statt, weil nicht abzusehen war, wie es mit den KleingĂ€rten in Zukunft weiter gehen wĂŒrde. Erst nach dem IX. Parteitag 1976 begann sich abzuzeichnen, wie die neue FĂŒhrung um Honecker ĂŒber KleingĂ€rten dachte. TatsĂ€chlich fasste dann 1977 das Sekretariat des ZK der SED einen gesonderten Beschluss zur Förderung der KleingĂ€rtner. Das bis dahin anhaltende Kleingartensterben hatte ein Ende. KleingĂ€rten wurden in ihrem Freizeit- und Erholungswert gewĂŒrdigt und nicht mehr vordergrĂŒndig als landwirtschaftliche Kleinstbetriebe zur Selbstversorgung behandelt.

Man kann darĂŒber streiten, ob das ein Übergang von der Arbeits- zur Freizeitgesellschaft war. Ebenso gut könnte man das Gegenteil behaupten. Durch die Förderung des Kleingartenwesens sollten weit mehr Menschen als bislang veranlasst werden, in ihrer Freizeit zu arbeiten und einen Beitrag zu ihrer eigenen ErnĂ€hrung zu leisten. Das wĂ€re dann ein reiner Etikettenschwindel gewesen. In der Zeitbudgetforschung war das deutlich zu beobachten. Gartenarbeit war dort immer wie Hausarbeit und Kinderbetreuung zur notwendigen Reproduktionsarbeit gezĂ€hlt worden. Nun erschien sie plötzlich unter den FreizeitbetĂ€tigungen. Weil sie bei allen Schichten der Bevölkerung kontinuierlich zunahm, ließ sich auf diese Weise statistisch ein Zuwachs an Freizeit ausweisen, der die realen Verluste kaschierte. Nun lĂ€sst sich bei Gartenarbeit ja wirklich schwer trennen, was aus Passion und was aus schlichter Notwendigkeit getan wird. Diesen ganzen Bereich aber einfach den Liebhabereien zuzuschlagen, den FreizeitvergnĂŒgungen und der aktiven Erholung ist wohl unredlich. In einem Land wie der DDR, wo Obst und GemĂŒse bis zuletzt Mangelware waren, mussten sich viele zur Selbstversorgung entschließen, wenn sie sich halbwegs vernĂŒnftig ernĂ€hren wollten. In den anderen sozialistischen LĂ€ndern war die Situation wohl Ă€hnlich. Nur hielt man das dort nicht der Rede wert oder hat aus Scham geschwiegen. Jedenfalls hat sonst keine der herrschenden Parteien so ein gigantisches propagandistisches Brimborium ĂŒber dem Kleingarten errichtet wie die SED.


Die KleingĂ€rten waren ja mal angelegt worden, um die ergĂ€nzende Selbstversorgung der Vielen zu ermöglichen. Einst war das wohl normal, als Hegel Rektor der Berliner UniversitĂ€t wurde, gehörte zu diesem Amt auch ein StĂŒck Gartenland fĂŒr die eigene Versorgung. In der DDR – so sagt es die Statistik – hatte mehr als die HĂ€lfte der Familien einen Garten. Nicht alle waren NutzgĂ€rten, aber doch sehr viele. War das nicht tatsĂ€chlich eine betrĂ€chtliche volkswirtschaftliche Ressource?

Das lĂ€ĂŸt sich schwer einschĂ€tzen. Am Ende gab es in der DDR wesentlich mehr FreizeitgĂ€rtner als BeschĂ€ftigte in den Landwirtschafts- und Gartenbaubetrieben. Die haben auch allerhand an Obst und GemĂŒse erzeugt. Die hierzu veröffentlichten Zahlen dĂŒrften aber eher Fiktion als RealitĂ€t gewesen sein. Jeder KleingĂ€rtner weiß, wie sie zustande gekommen sind. JĂ€hrlich waren Ernteberichte abzuliefern, von der einzelnen Parzelle, der Sparte, dem Kreis- und Bezirksverband, dem VKSK insgesamt. Nur etwa die HĂ€lfte der KleingĂ€rtner hat irgendwelche Angaben gemacht. Kontrolliert wurde das nicht, man konnte schreiben, was man wollte. Der Rest wurde von den VorstĂ€nden geschĂ€tzt. Insofern ist da jede Statistik mit Vorsicht zu genießen. Man darf auch nicht vergessen, dass diese Art der Kleinstproduktion die volkswirtschaftlich denkbar teuerste war, wenn man die Arbeitskraft und Zeit der Leute mit in Rechnung stellte.

Andererseits hĂ€tte es ohne KleingĂ€rtner bei der Obst- und GemĂŒseversorgung noch wesentlich trĂŒber ausgesehen. Besonders bei handarbeitsaufwendigen und empfindlichen Kulturen und beim Ausnutzen von Rest- und SplitterflĂ€chen konnte die Großproduktion in Genossenschaften und Staatsbetrieben nicht mithalten. Von dort kam eigentlich nur das Grobe und auch das nicht immer ausreichend: Kraut, RĂŒben, Zwiebeln und Äpfel, dazu je nach Saison vielleicht noch vier, fĂŒnf andere Arten.

Frische Erbsen, Bohnen, Rosenkohl, Spargel, Erdbeeren, Himbeeren, Kirschen usw. gehörten schon zu den RaritĂ€ten. Die konnte man nicht mal im Intershop fĂŒr Westgeld kaufen. Wer darauf nicht verzichten wollte, musste so etwas selber anbauen. 1,2 Millionen organisierte KleingĂ€rtner, dazu die Besitzer von HausgĂ€rten und WochenendgrundstĂŒcken machten zusammen mit ihren Familien wohl mehr als die HĂ€lfte der DDR-Bevölkerung aus. Auch wenn sich damit nicht unbedingt die Anzahl der verĂ€rgerten Kunden in den GemĂŒsegeschĂ€ften halbierte - eine spĂŒrbare Entlastung fĂŒr die staatliche Planwirtschaft und fĂŒr die Devisenkasse war das schon. Das Fehlende hĂ€tte sonst importiert werden mĂŒssen. Auch die indirekten Einsparungen sind nicht zu unterschĂ€tzen. Gartenbesitzer waren die einzigen, die halbwegs die von ErnĂ€hrungswissenschaftlern empfohlenen Richtwerte beim Obst- und GemĂŒseverbrauch erreichen konnten und so etwas fĂŒr ihre Gesundheit taten. Sie moserten auch nicht ĂŒber fehlende UrlaubsplĂ€tze oder Naherholungsangebote, blockierten keine AusflugsgaststĂ€tten usw.


Der marxistischen Theorie wird vorgeworfen, dass sie alle reproduktiven TĂ€tigkeiten – vor allem die Arbeit der Hausfrauen – gar nicht weiter berĂŒcksichtigt. Dazu gehört auch die Selbstversorgung aus dem Garten. Liegt in der hoch angesetzten Bewertung der KleingĂ€rtnerei nicht eine theoretische Wende in der Arbeitsauffassung?

Eine theoretische Wende wĂŒrde ich darin nicht sehen. Wie schon gesagt, seit Ende der 70er Jahre rangierte Gartenarbeit nur noch unter sinnvoller Freizeitgestaltung und aktiver Erholung. Der Arbeitsbegriff wurde also eher verengt als ausgeweitet. Hauswirtschaftliche TĂ€tigkeiten, Eigenarbeit aller Art waren da ausgeschlossen. Dass sie in der RealitĂ€t einen sehr hohen Stellenwert hatten, stand auf einem anderen Blatt. Viele GĂŒter und Dienstleistungen waren kĂ€uflich ja gar nicht zu erwerben. Es fehlte den Leuten weniger an Geld dafĂŒr. Es gab einfach kein entsprechendes Angebot. Gartenarbeit war da nur eine Form der Selbsthilfe unter vielen anderen. In den Familien wurde auch massenhaft genĂ€ht und gestrickt, gebaut, gemalert und repariert. Do it yourself war in der DDR kein Weg, einen ĂŒberteuerten Markt zu umgehen oder die eigenen Talente unter Beweis zu stellen, sondern lebensnotwendig. Als Arbeit ist das aber nicht gewĂŒrdigt worden. Hinsichtlich der tĂ€glichen Regelarbeitszeit, auch der Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit lag die DDR ohnehin mit an der Spitze in der Welt. WĂ€re die gesamte informelle Arbeit noch dazugeschlagen worden, hĂ€tte sich die Freizeit auf einen Bruchteil verkĂŒrzt. Insofern wĂŒrde ich hier auch nicht von einer Freizeit- und Konsumgesellschaft sprechen. Der den Ostdeutschen oft nachgesagte Zeitwohlstand ist wohl ein Phantom gewesen.


Die SED hat versucht, die KleingĂ€rtnerei stark zu verregeln und in bestimmte Richtungen zu lenken. Nun höre ich, dass die Regeln der Bundesrepublik, die ĂŒber die Ostdeutschen gekommen sind – noch viel rigoroser sind? Kannst Du das bestĂ€tigen?

Ja. Die SED hatte nur wenige Möglichkeiten, zu regeln und zu lenken. Sie konnte das Kleingartenwesen mit einem dichten Geflecht von Anleitung und Kontrolle ĂŒberziehen, sie konnte werben, moralisch appellieren, mit Geld locken. Aber sie hatte keine juristische Handhabe. Es gab in der DDR kein einheitliches Kleingartengesetz, nur einen Flickenteppich von Verordnungen und Rechtsvorschriften, die teilweise einander widersprachen und in denen sich kaum noch einer zurechtfand. Das schuf Raum fĂŒr WillkĂŒr und Schlendrian, aber auch fĂŒr allerlei Wildwuchs sowie quasi naturrechtliche AnsprĂŒche und Gewohnheiten seitens der PĂ€chter. Im Unterschied zur DDR sitzen KleingĂ€rtner heute am kĂŒrzeren Hebel. Man lĂ€sst sie gewĂ€hren, ist aber nicht mehr auf sie angewiesen. Innerhalb des GrundstĂŒcksmarktes sind ihre FlĂ€chen eigentlich ein Anachronismus. Auch ostdeutsche KleingĂ€rtner sind inzwischen von EigentĂŒmern umzingelt, die mit Argusaugen ĂŒber die Einhaltung eines ausgefinkelten Kleingartengesetzes wachen. Insofern sind die Regeln und Sanktionen heute tatsĂ€chlich wesentlich rigoroser. Verglichen mit den Freiheiten, die KleingĂ€rtner besonders im letzten Jahrzehnt der DDR hatten, ist der Spielraum viel enger geworden.


Dein Buch ist illustriert, nicht nur mit einigen Fotos und Faksimiles von Rundschreiben und Protokollen, sondern vor allem mit zeitgenössischen Karikaturen. Die spitzen zu und sind großenteils kritisch. Zeichnen sie nicht ein falsches Bild von den ostdeutschen KleingĂ€rtnern?

Ich weiß nicht, wie ein richtiges Bild hĂ€tte aussehen sollen und ob Karikaturen ĂŒberhaupt zu diesem Zweck gemacht werden. Auf alle FĂ€lle brachten sie andere Wahrheiten ans Licht als die schriftlichen Quellen. KleingĂ€rtner wurden auf den Zeichnungen immer wieder als Arbeitsbummelanten, Langfinger, Schwarzbauer, Schluckspechte, Kulturbanausen und UmweltsĂŒnder vorgefĂŒhrt.

Mit Sicherheit standen dahinter bestimmte Pressekampagnen. Karikatur wurde von der SED als Kampf- und Erziehungsmittel der Partei verstanden. Eine satirische Zeitschrift wie Frischer Wind oder Eulenspiegel unterstand wie alle anderen offiziellen Medien der Abteilung Agitation des ZK der SED, erhielt von dort die berĂŒhmte Anleitung und Kontrolle. Wenn KleingĂ€rtner so wenig schmeichelhaft dargestellt wurden, muss es dazu eine Aufforderung oder zumindest grĂŒnes Licht von höchster Stelle gegeben haben.

Was die Zeichner dann allerdings aus solchen Vorgaben machten, war eine ganz andere Frage. Meines Erachtens stand der KleingĂ€rtner in der Karikatur fĂŒr den DDR-BĂŒrger schlechthin. Den konnte man noch so sehr zum Helden der Arbeit und zum selbstlosen Kollektivmenschen hochstilisieren - er machte doch, was er wollte. An der ostdeutschen KleingĂ€rtnerschaft ließ sich auch deshalb so viel AllgemeingĂŒltiges zeigen, weil sie sogar im soziologischen Sinne reprĂ€sentativ war. In ihren Reihen waren alle Berufs- und Altersgruppen, alle Bildungs- und Einkommensschichten sowie beide Geschlechter gebĂŒhrend vertreten. FĂŒr Karikaturisten mĂŒssen KleingĂ€rtner einfach ein gefundenes Fressen gewesen sein. Sie waren die einzigen, die viel von ihrem Privatleben in der Öffentlichkeit zeigten. Was sich sonst hinter ostdeutschen WohnungstĂŒren verbarg, wurde in den Laubenkolonien unbekĂŒmmert zur Schau gestellt. Ich glaube nicht, dass mit den Karikaturen speziell den KleingĂ€rtnern alle möglichen Untugenden angehĂ€ngt werden sollten. Vielmehr sehe ich darin ein SittengemĂ€lde des Landes, ein LehrstĂŒck in Sachen Privatleben, das im Schutze nahezu grenzenloser sozialer Sicherheit die sonderbarsten BlĂŒten trieb.

In meinem Buch sollten die Zeichnungen die öden Kanzleitexte nicht auflockern oder illustrieren. Sie sollten einfach einen Gegenpol bilden, einen stillen Kommentar zu den markigen Worten und großen Parolen liefern, ohne lange ErklĂ€rungen die Wertewelt der schriftlichen Dokumente in Frage stellen.