KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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ReportKulturation 2/2003
Anna Scheer
„Generation 89!“
Meistens gibt es erst das Kind und dann einen Namen. Hier ist es andersrum: man hat einen Namen, „Generation 89!“, und will nun wissen, wer so heißen könnte. Vielleicht vermutet der Veranstalter, das „Forum Ostdeutschland der Sozialdemokratie e.V.“, diese Generation in Berlin, im Stadtbad Oderberger Straße, denn dorthin wurde am 29.Oktober abends geladen. Womit die im Jahr ´89 geborene Generation ausgeschlossen ist – denn die liegt um diese Zeit im Bett. Gemeint ist vielmehr die ostdeutsche Jugend der Wendezeit. Die, aber vor allem deren Elterngeneration, saßen nun erwartungsvoll in dem maroden Stadtbad, in dem seit 17 Jahren nicht mehr gebadet wird. Dort ist es jetzt kalt wie in einem Bergwerk, aber es kamen so viele, dass die Stühle nicht reichten und übriggebliebene Kirchentagspapphöckerchen gereicht wurden.

Manfred Stolpe, der Vorsitzende dieses Vereins, zog seinen wärmsten Pullover an, stellte sich in den tiefen Teil des Schwimmbeckens und eröffnete die Suche nach der „Generation 89!“, dem „selbstbewussten Osten“ wie es genau heißt. Er erinnerte, dass sie 2001 in einer großen Veranstaltung in Leipzig untersucht hatten, ob der Osten in der Literatur überhaupt zur Sprache komme. Seither entwickelte sich die DDR-Erinnerungsliteratur zu einem funktionierenden Markenzeichen. Die „Zonenkinder“ kamen auf die Bestsellerlisten, wurden talkshowfähig. Sie hatten „Lust am Aufräumen“, so nennt es Wolfgang Thierse und der Präsident des Deutschen Bundestages betonte nachdrücklich, dass diese Ostdeutschen „selbstbewusst, nicht rückwärtsgewandt und ohne Nostalgie“ sind.

Der Kultursoziologe Wolfgang Engler dagegen hat grundsätzliche Zweifel an diesem Generationsbegriff und dem Umgang mit der DDR-Geschichte. Nach der „Überdramatisierung“ kommt nun die „Normalisierung“, in der sich vieles auflöst. Die DDR ist für das Fernsehformat zurechtgemacht. Es wird nicht die ganze DDR beleuchtet, sondern bleibt beschränkt auf die 80er Jahre und die Großstädte. Außerdem, meint Engler, braucht es für eine Generation mehr als nur gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse. Für eine „Generation 89“ fehlt es an gemeinsamen Konzepten: es gab nicht die Generation, die – wie zuletzt die 68er mit der Gründung von „Die Grünen“ – Schlussfolgerungen aus der Situation zog.

Die Formulierung „ostdeutsches Selbstbewusstsein“ griff Steffen Mensching in seiner Rede spielerisch auf, indem er das Internet benutzte. Als Suchbegriff eingegeben gab es mehr Ergebnisse als für „westdeutsches Selbstbewusstsein“ – aber „dies ist nur natürlich, sucht man doch den Ausdruck weibliche Schwangerschaften auch vergeblich“. Der Autor fragte nach Gründen zum Selbstbewusstsein der Ostdeutschen: Stieg es proportional zur Arbeitslosenquote? Ist es „klammheimliche ostdeutsche Schadenfreude“ angesichts der Krisen im Westen? Vielleicht fühlt sich der Ostler überlegen: „haben schon einen Systemzusammenbruch überstanden, werden auch diesen überleben“.

Krisenerfahren und dieses „Sowohl-als-auch-Sein“, beide Gesellschaftssysteme zu kennen, zeichnet die „Generation 89“ aus, macht sie kreativ – das ist, was in dieser Debatte immer wieder formuliert wird. Auch das Podium, was anschließend diskutierte, wollte sich auf keinen weiterführenden Generationenbegriff einigen. Jakob Hein, der mit seinem Buch „Mein erstes T-Shirt“ zu den eher witzig-entspannten DDR-Erinnerungsarbeitern gehört, sagte gleich zu Beginn: „Ganz Deutschland ist die Generation 89.“ Dieses weitgesteckte Feld nun zu beackern, gelang der Moderatorin Kerstin Decker nicht. Zwischen der Journalistin und dem viel zu großem und komplex zusammengestelltem Podium blieb eine Distanz. Auf sperrige Fragen folgten launische Antworten wie von der Potsdamerin Enie van de Meiklokjes, die sich an ihr Spielzeug erinnerte – „Pebe-Steine“, die wie Lego waren – und forsch hinzusetzte: „Wir sind überall! Es gäbe im Fernsehen nichts mehr zu gucken, wenn wir nicht wären.“

Jeder sollte mal sein DDR-Gefühl beschreiben: Die Autorin Jana Simon fand, „Osten war nicht gerade cool“, weswegen sie sich vor der Wende schämte, Ostlerin zu sein. Der Weimarer Galerist Frank Motz konnte der DDR immerhin einen „Unterhaltungsaspekt“ abgewinnen. Thomas Krüger findet seine Generation ausgesprochen heterogen, weil Umbrüche immer ungewöhnliche Lebenswege fördern. Katrin Molkentin, SPD-Vize in Brandenburg, erkannte: „Wir sind nicht Ostdeutschland. Wir haben ganz andere Chancen als beispielsweise die in der Ostprignitz.“

Das Publikum schien wenig Gefallen an der uncharmant moderierten Debatte zu haben, so dass die Hälfte ging, bevor überhaupt alle Podiumsteilnehmer zu Wort kamen. Das Scheitern dieser Diskussion ist symptomatisch für den Versuch, mit verschiedenen Wahrnehmungen eine Geschichte zu erzählen. Keiner der vermeintlichen Vertreter dieser „Generation 89“ will so sein wie ein anderer. Allen gemeinsam ist die Skepsis gegenüber Vereinheitlichung unter vereinfachende Begriffe.