KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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ReportKulturation 2016
Isolde Dietrich
Nützliche Erfahrungen
Alternativen zur gegenwärtigen Wirtschaftsorganisation

Am 8. Dezember wurde im Salon von Rohnstock Biografien der zweite Band mit Erinnerungen von Generaldirektoren großer DDR-Kombinate vorgestellt. Er enthält weitere Beiträge zu dem vor vier Jahren begonnenen Kombinatsdirektoren-Salon. Diese Veranstaltungsreihe hatte wachsenden Zuspruch und entwickelte sich über die "Erinnerungsarbeit" der DDR-Wirtschaftslenker hinaus zu einem wirtschaftshistorischen Forum. Im Mittelpunkt dabei der rege Austausch über den Wert der DDR-Erfahrungen für heutige Problemlagen. Isolde Dietrich hat die nun vorgelegte zweite Auswahl aus über 50 Vorträgen und Debatten für Kulturation durchgesehen und kommentiert.
Die Kombinatsdirektoren – Jetzt reden wir weiter! Neue Beiträge zur DDR-Wirtschaft und was daraus zu lernen ist. Hrsg.: Katrin Rohnstock, Berlin 2016, 272 S., 9,99 €.

Ein Buch über Alternativen zur gegenwärtigen Wirtschaftsorganisation. Es handelt sich um den zweiten Band einer Anthologie, in der DDR-Kombinatsdirektoren Auskunft geben über ihre Erfahrungen. Eine Reihe von ihnen kam 2013 in einem ersten Band zu Worte. Die Berichte im neuen Band kommen wieder aus berufenem Mund. Schließlich melden sich hier Wirtschaftsführer, die im Laufe ihres Lebens Teil hatten an zwei gewaltigen ökonomischen Experimenten – nicht am Computer, nicht im Labor, sondern am lebenden Organismus einer gesamten Volkswirtschaft.

Der erste Versuch war das Wagnis, ein völlig neues Gesellschaftsmodell ohne Privateigentum an Produktionsmitteln auszuprobieren, eine kriegszerstörte Industrie und Infrastruktur wiederherzustellen und die neuentstandene DDR in einen prosperierenden Wirtschaftsraum zu verwandeln. Entgegen allen Prophezeiungen hat sich dieser Bauplan über vier Jahrzehnte behauptet. Das zweite Experiment bestand darin, eine so strukturierte Volkswirtschaft quasi über Nacht zu reprivatisieren und mit einem Währungstrick in die globale Geldwirtschaft zu katapultieren. Das Ergebnis ist bekannt und ist treffend als „größte deutsche Wirtschaftskatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (S. 237) bezeichnet worden.

Der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler erinnert eingangs an die Koordinaten, in denen sich die ostdeutsche Wirtschaft zu entwickeln hatte: Kriegszerstörungen, Spaltungsdisproportionen, umfangreiche Demontagen und weitergehende drückende Reparationsleistungen im Gesamtumfang von 54 Milliarden RM/DM, Kalter Krieg samt über 40 Jahren Westembargo, Mangel an Rohstoffen und Arbeitskräften usw.

All diese Widrigkeiten sind dem Leser bekannt. Sie ins Gedächtnis zu rufen ist nötig, weil sie nur teilweise durch eine gezielte Strukturpolitik behoben werden konnten. Im Grunde haben viele dieser Ausgangsbedingungen bis zuletzt das wirtschaftliche Vorwärtskommen des Landes erschwert und das Agieren der Kombinatsdirektoren bestimmt.

Interessant ist, dass Roesler Akzente setzt, die so nicht jedem Leser im Bewusstsein sein dürften, etwa im Zusammenhang mit dem Marshallplan. Westeuropäischen Ländern – einschließlich der deutschen Westzonen -, die vom Marshallplan profitierten, wurde der Handel mit dem „kommunistischen Osteuropa“ weitgehend untersagt. Der Entzug dieses Marktes dürfte ein hoher Preis gewesen sein für die Gegenleistung – Hilfsgelder als Darlehen in Höhe 14 Milliarden US-Dollar, wovon Westdeutschland 10 % (1,4 Mrd.) erhielt mit der Auflage, dafür vorrangig amerikanische Waren zu kaufen. Auf diese Weise sollte die Überproduktion in den USA abgebaut werden.

Die Vorstellung, der Marshallplan habe das westdeutsche „Wirtschaftswunder“ bewirkt, ist schon vor Jahrzehnten stark relativiert worden. Lediglich 0,5 Prozent jährliche Steigerung des Bruttoinlandsproduktes wird diesen Finanzspritzen zugeschrieben. Entscheidend für den westdeutschen Nachkriegsboom seien andere Faktoren gewesen, etwa die Liberalisierung des Handels zwischen den westlichen Staaten.

Speziell für Westdeutschland war noch ein anderer Umstand bedeutend: Von 1949 bis 1961 kamen 2,7 Millionen „Zuwanderer“ aus der DDR, darunter besonders viele mit Hochschulabschluss (Ingenieure, Ärzte usw.) und andere Fachkräfte. Übrigens wurden nur 14 % von ihnen als politische Flüchtlinge anerkannt. Auf diese Weise sparte die Bundesrepublik über 30 Milliarden DM an Bildungs- und Ausbildungskosten, konnte diese während der gesamten 50er Jahre auf dem Niveau der Weimarer Republik belassen, ohne die Wachstumschancen der Wirtschaft zu verringern.

Roesler zitiert in diesem Zusammenhang den Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser: „Der Ost-West-Transfer von Humankapital in Höhe von jährlich 2,6 Mrd. DM – im Durchschnitt von 12 Jahren – übertraf das Ausmaß der Marshallplanhilfe für die Bundesrepublik bei Weitem.“ (Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980. Frankfurt/Main 1983, S. 96) (Nur nebenbei: Nach 1989 hatten die Abwanderung von Ost nach West und die Arbeit von Hunderttausenden Pendlern einen ähnlichen Effekt.)

Etliche Kombinatsdirektoren werden aus eigener Erfahrung bestätigen können, dass sich in technischen Fachrichtungen nach dem Studium mitunter ein halber Absolventenjahrgang in Richtung Westen absetzte. 1958 bildete die DDR doppelt so viele Ingenieure aus wie die Bundesrepublik. Doch der Ingenieuranteil lag in der Bundesrepublik mehr als drei Mal so hoch wie in der DDR. Sollte das kleinere, ärmere Deutschland dem größeren, reicheren Entwicklungshilfe geleistet haben, sollte es mehr als der gelobte Marshallplan zum westdeutschen „Wirtschaftswunder“ beigetragen haben?

In den beiden Bänden der Anthologie kommen insgesamt 17 Generaldirektoren zu Wort. Auffällig sind einige Besonderheiten in ihrem beruflichen Werdegang. 14 von ihnen haben zunächst eine klassische Berufsausbildung absolviert. Die übrigen Drei fanden ihren Einstieg in die Arbeitswelt über ein Ingenieurstudium. Zu den Lehrberufen gehörten Schlosser, Werkzeugmacher, Former, Elektriker, Chemiefacharbeiter, Lederzuschneider, Brauer und Mälzer. Über den sogenannten zweiten Bildungsweg qualifizierte sich die Mehrzahl von ihnen für eine Führungsposition, wobei sie in der Regel der jeweiligen Branche treu, immer aber dem Arbeitermilieu verbunden blieben – eine Wirtschaftselite ohne Elitebewusstsein. Es gab unter ihnen keine Juristen und keine Absolventen einer „Business School“. Das erklärt u.a. die produktbezogene, gebrauchswertorientierte Perspektive der Kombinatsdirektoren. Es ging in diesem Wirtschaftssystem immer um konkrete Wertschöpfung, nicht um Renditeerwartungen von Aktionären.

Die Autoren des vorliegenden Bandes - Kombinatsdirektoren und andere Führungskräfte aus den Bereichen Energiewirtschaft (Erhard Netzmann und Hans Sandlaß), Klimatechnik (Günter Kretschmer), Mikroelektronik (Karl Nendel), Automobilindustrie (Winfried Sonntag), Sportgerätebau (Wolfgang Neupert), Schuh- (Joachim Lezoch), Kosmetik- (Christa Bertag), Pharma- (Winfried Noack) und Getränkeindustrie (Peter Lietz), daneben Wirtschaftswissenschaftler und Vertreter der staatlichen Planungs- und Preisbehörden - erzählen sachlich und gelassen von ihrer Arbeit.

Es geht ihnen nicht darum, sich zu rechtfertigen oder die eigene Leistung ins rechte Licht zu rücken. Die ließe sich ohnehin nur ermessen, wenn die vorgegebenen Aufgaben und die Mittel bzw. Möglichkeiten, diese zu bewältigen, in Rechnung gestellt würden. Ihr Ausgangspunkt sind vielmehr die Werte und Ziele der Gesellschaft sowie die volkswirtschaftliche Gesamtkonstellation. In diesem Rahmen haben sie sich verortet. Davon haben sie ihre betriebswirtschaftlichen Erwägungen und Entscheidungen abgeleitet. Die DDR ist Geschichte. Als Versager fühlen sich ihre Wirtschaftslenker dennoch nicht.

Der Band ist keine Wirtschaftsgeschichte der DDR, eher ein Mosaik verschiedener Miniaturen, die aber doch Schlaglicht auf das Ganze werfen. Da geht es nicht nur um nüchterne Berichterstattung, sondern auch um verrückte Geschichten etwa über „Erichs Krönung“, den berüchtigten Kaffee Mix, über salzige Zahnpasta, über einen Teenager-Ansturm aufs Berliner Centrum-Warenhaus, übers landesweit übliche Fenster-Aufreißen als Ersatz für regulierbare Heizungen, über die Abenteuer des Bierbrauens, über Salamander-Schuhe, Nivea-Creme und VW-Motoren – alle Made in GDR, über den ersten 1-MB-Speicherchip und über vieles andere mehr.

Thomas Edison, der Erfinder der Glühlampe, erklärte nach unzähligen missglückten Versuchen: „Ich bin nicht gescheitert. Ich habe 10.000 Wege gefunden, wie es nicht funktioniert.“ Die Kombinatsdirektoren haben etwas mit ihm gemeinsam. Sie haben viele Nackenschläge einstecken, unlösbare Konflikte durchstehen müssen, über die sie freimütig Auskunft geben. So zum Beispiel Generaldirektor Joachim Lezoch, der die Schuhindustrie automatisierte, wie es seinerzeit kein Westunternehmen vermocht hätte. Sein Kombinat hatte u.a. Kinderschuhe im Programm.

Lezoch konnte die Produktion noch so rationell gestalten, mit jedem zusätzlichen Paar hat er nur den volkswirtschaftlichen Schaden vergrößert, weil der Staat jedes Mal 35 Mark drauflegen musste. Denn Kinder- und Arbeitsschuhe gehörten wie zahllose andere Artikel, wie Tarife und Mieten zum hoch subventionierten Grundbedarf. Es machte ihm am meisten zu schaffen, so teilt Lezoch mit, dass er die Planerfüllung auch noch als Erfolg zu feiern hatte, obwohl sie zugleich ein weiterer Sargnagel war (vgl. S. 151).

Solche Wege, „wie es nicht funktioniert“, aufgezeigt zu haben, gehört zu den Verdiensten des Bandes. Linken und grünen Politikern, die heute darüber fabulieren, wie wünschenswert eine kostenlose Energieversorgung, kostenloser Öffentlicher Nahverkehr, kostenlose Schulspeisung, kostenlose Nutzung von Bädern, Museen usw. wäre, sei die Lektüre des Bandes dringend empfohlen. Sie können dort erfahren, weshalb solche Ankündigungen oder Versprechungen nicht zu halten sind, selbst bei gesellschaftlichem Eigentum nicht. (Vgl. S. 82) Nicht nur Politikern, auch Großeltern, die ihren Enkeln von der goldenen DDR-Zeit erzählen, in der die Schrippe einen Sechser, zwei Wochen Ferienspiele mit Mittagessen eine Mark und eine Kinokarte für die Kindervorstellung 25 Pfennige kosteten, sei das Buch ans Herz gelegt.
Das Kapitel zur Preispolitik der DDR von Manfred Domagk, Wilfried Maier und Walter Siegert mag manch einem Leser zunächst verwirrend oder geradezu exotisch erscheinen. Hinter die Geheimnisse des „sozialistischen Planpreises“ zu steigen, ist kein leichtes Unterfangen. Der Laie staunt zumindest, welch ausgetüfteltes System erdacht werden musste, um halbwegs die Balance zu halten.

In ihrer Gesamtheit haben die vielen subventionierten Wohltaten wohl eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann bedeutet, das in seinem Geldwert (etwa 43 Prozent des realen Gesamteinkommens) aber gar nicht mehr wahrgenommen und gewürdigt wurde. Im Gegenteil – es hat verheerend gewirkt, sowohl auf das Verhalten der Verbraucher, als auch auf die Investitionskraft der Wirtschaft. (Nach der Wende zeigte sich ein weiterer Nachteil dieser „zweiten Lohntüte“. Da sie in keiner Lohn- oder Gehaltsbescheinigung vermerkt war, konnte sie nicht in die Rentenberechnung einfließen.)

Obwohl jedem klar war: „Wir versaufen unserer Oma ihr klein Häuschen“, löste der geringste Versuch, bestimmte Preise zu erhöhen, Proteststürme aus. Preise waren in der DDR Festpreise, nach einem SMAD-Befehl bei Waren und Leistungen eingefroren auf dem Stand von 1944, bei Mieten auf dem Niveau von 1936. Um des sozialen Friedens bzw. der Machterhaltung willen wurde daran bis zuletzt nicht gerüttelt – wider alle Vernunft. Der Reformunfähigkeit der politischen Führung entsprach die Reformunwilligkeit der Bevölkerung.

Fachleute mögen das anders sehen, aber vielleicht zeigt sich an dieser Stelle eine Kinderkrankheit linker Politik: Wirtschafts- und Finanzexperten sind in diesem Milieu rar. Und wo es sie gibt, kümmern sie sich nach wie vor mehr um die „gerechte“ Verteilung von Reichtum, als um dessen Produktion.
Dabei hielt es Marx schon vor 140 Jahren in der „Kritik des Gothaer Programms“ für „fehlerhaft, von der sog. Verteilung Wesens zu machen und den Hauptakzent auf sie zu legen“ (MEW, Bd. 19, S. 21). Priorität habe die Sicherung der Produktion, d.h. der Ersatz verbrauchter Produktionsmittel, die Ausdehnung und Vervollkommnung der Produktion und ein Reservefond für Ausfälle und Störungen durch Naturereignisse. All dies seien ökonomische Notwendigkeiten, die nichts mit Gerechtigkeit zu tun hätten. Ehe es zur individuellen Verteilung komme, seien ferner abzuziehen die Mittel für die Verwaltung der Produktion, für soziale Einrichtungen wie Schulen und Gesundheitsvorrichtungen sowie für einen Fond für Arbeitsunfähige. Erst dann könne man sich über den Rest verständigen, der dem Einzelnen zum persönlichen Verbrauch zuerkannt werde. Jedem Wirtschaftslenker in der DDR war dies vertraut. Doch im Widerstreit mit politischen und sozialen Zielen zog die Ökonomie oft den Kürzeren. Als Lehre aus der verfehlten Preispolitik stellten die Fachleute fest: „… die Subvention darf nicht am Produkt, sondern muss gezielt an der bedürftigen Person ansetzen“ (S. 85).

Der vorliegende Band zeigt aber nicht nur, „wie es nicht funktioniert“, obwohl dies allein schon den Erfahrungsschatz deutscher Wirtschaftsgeschichte bereichern würde. Er führt auch vor Augen, wie mitunter ursprünglich aus Not und Mangel geborene Lösungen sich doch als die überlegenen erwiesen und international durchsetzten.

Wenn etwa Bierbrauer in aller Welt heute auf in der DDR entwickelte Verfahren zurückgreifen, worauf Peter Lietz aufmerksam macht, ist dies nur ein Beispiel dafür. Die heimische Schuhindustrie – einst aus Kostengründen ins Ausland verlagert – kehrt inzwischen zurück als vollautomatisierte Produktion. Freilich auf anderer technologischer Grundlage als zu Lezochs Zeiten, aber er war der Vorreiter der Automation. Die strengen Energiesparauflagen der DDR – seinerzeit als Zumutung und mitunter als Willkür empfunden, waren kein Armutszeugnis, sondern ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft. Dass sie durch Verschwendung auf der anderen Seite konterkariert wurden, steht auf einem anderen Blatt, wird aber von den Kombinatsdirektoren in den volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhang gestellt. Armut war tatsächlich zugleich der beste Umweltschützer wie der schlimmste Umweltzerstörer – einer der vielen Widersprüche, mit denen es die Industriekapitäne zu tun hatten.

Mehr noch, inzwischen hat sich gezeigt, dass man heute auf manches zurückkommt, das in der DDR schon allgemein praktiziert wurde. Frauenerwerbstätigkeit und Kitabetreuung – einst verrufen als kommunistische Zwangsmaßnahmen – gehören mittlerweile zu solchen Selbstverständlichkeiten, dass sie gerichtlich eingeklagt werden können. Auch in der Berufsausbildung, im Schul- und Gesundheitswesen, in der Sozial- und Rentenversicherung, im Wohnungsbau, im Transport- und Verkehrswesen wird an neuen Konzepten gestrickt.

Nie würde sich dabei jemand auf DDR-Modelle berufen, versteht sich. Diese wären heute – unter veränderten Bedingungen – in ihrer damaligen Form auch untauglich. Dennoch haben Ostdeutsche immer häufiger das Gefühl, auf Altbekanntes zu stoßen. Offenbar drängen viele Probleme in eine Richtung, die so gar nicht den bisherigen Lösungen des Finanzmarkt-Kapitalismus entspricht. In einem Punkt wird es aber mit Sicherheit kein Déjà-vu-Erlebnis geben – in der Gewissheit „Mir kann keiner“, die sich auf soziale Gleichheit, ökonomische Unabhängigkeit und existentielle Sicherheit gründete. Eine Gewissheit, die jeder in sich trug, gleich welcher Bildungs-, Berufs- und Einkommensschicht er angehörte, die nun aber wohl endgültig dahin ist.

Wenn die DDR in diesem Punkt allgemein zu viel Geborgenheit geboten, zu wenig Eigenverantwortung abverlangt haben sollte, dann aber gewiss nicht gegenüber den Kombinatsdirektoren. Die standen ständig unmittelbar in der Pflicht. Sie mussten persönlich geradestehen für die reibungslose Produktion, für die Erfüllung der Planziele, für zig Tausende Beschäftigte, für all die betrieblichen Sozial-, Bildungs-, Sport- und Kultureinrichtungen, ohne die ein DDR-Betrieb undenkbar war. Sie hatten für alles und für jeden ihren Kopf hinzuhalten und gingen am Ende mit dem Dreifachen eines Arbeiterlohns nach Hause. Nur wenige lassen im vorliegenden Band erkennen, warum sie das taten, was sie antrieb, was sie freute, was sie ärgerte. Sie machen nicht viel Wesen um ihre Person. Schade, darüber wüsste der Leser gern mehr.

Vielleicht hilft es, sich unter www.kombinatsdirektoren.de/erzaehlsalons die Mitschnitte der einzelnen Debatten im Hause Rohnstock anzuhören, auf deren Basis das Buch entstanden ist. In der mündlichen Diskussion ging es natürlich noch mehr zur Sache, als hier in den Auszügen sichtbar wird. Der mutigen Herausgeberin ist dafür zu danken, dass sie seit über vier Jahren den einstigen Industriekapitänen Gelegenheit gibt, sich auszutauschen und mit ihren Befunden an die Öffentlichkeit zu treten.