KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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ReportKulturation 2015
Ute Mohrmann
Ausstellung zum künstlerisches Laienschaffen in der DDR - Baustein für eine faire kulturhistorische Bilanz
Redaktionelle Vorbemerkung
Nachstehend geben wir den Text des Eröffnungsvortrags wieder, den Prof. Ute Mohrmann am 7. November in Eisenhüttenstadt gehalten hat.
Nachdem die Fürstenwalder Rathausgalerie mit der Ausstellung „Herkunft: Bildnerisches Volksschaffen“ (sie lief bis zum 13. November 2015) auf die breite volkskünstlerische Bewegung der DDR und die gegenwärtige Kreativität der ehemaligen Zirkelmitglieder aufmerksam gemacht hatte, stellte nun das Kunstarchiv Beeskow Werke von Amateurkünstlern aus seinem Bestand aus.
Da das eigene Haus umgebaut wird, ging das Projekt ins benachbarte Eisenhüttenstadt und wurde am 7. November im dortigen Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR eröffnet. Bürgermeisterin Dagmar Püschel begrüßte es, dass das Zentrum nun wieder besser genutzt werde und durch eine weitere sehenswerte Präsentation neben der ständigen Ausstellung auch mehr Besucher anziehen könne.
Ilona Weser, Kulturdezernentin des Landkreises und verantwortliche Leiterin der Beeskower Sammlung, hob hervor, dass das Archiv hier erstmals einen Ausschnitt aus seinem reichen Bestand an laienkünstlerischen Werken öffentlich macht. Und dies unter einem Motto, das auf den kulturellen Zusammenhang verweist, aus dem diese Zeugnisse künstlerischer Betätigung stammen: "Freizeit, Kunst & Lebensfreude".
Die Ausstellung ist in der Erich-Weinert-Allee 3 bis zum 3. Januar 2016 von Dienstag bis Sonntag zwischen 11 und 17 Uhr geöffnet.
Ihr Besuch kann mit der Besichtigung der Ausstellung “Amateurkünstler aus Guben und Eisenhüttenstadt“ in der Galerie des Städtischen Museums Eisenhüttenstadt/OT. Fürstenberg, Löwenstraße 4 verbunden werden. (21.November bis 23. Dezember 2015, Di.- Fr. 10-17 Uhr, Sa. u..So. 13-17 Uhr)


Meine Damen und Herren, vor allem liebe Künstlerinnen und Künstler, verehrte Frau Bürgermeisterin Püschel und Frau Dr. Weser,
diese Ausstellung ist das dritte Vorhaben, das mich mit Eisenhüttenstadt verbindet. Zum 50. Jahrestag der Stahlstadt im Jahre 2000 ging es um eine Ausstellung zur Geschichte des FrauenAlltags seit der Entstehung von Werk und Stadt bis zur Wende. Gut 7 Jahre später begleitete ich ein Studienprojekt der Humboldt-Universität vor Ort. Die Ethnologie-Studenten hatten sich für den gegenwärtigen FrauenAlltag im östlichsten deutschen Osten: Eisenhüttenstadt interessiert. Seitdem sind wieder gut 7 Jahre vergangen und ich kann im 65. Jahr der Stadt mein ureigenstes Interesse am Laienschaffen in der DDR hier einbringen.

 Ute

Das tue ich sehr gern, zumal die Zusammenarbeit mit dem Städtischen Museum, Hartmut Preuß, insbesondere auch mit dem Kunstarchiv Beeskow, Kristina Geisler, sowie mit unseren Mitstreitern Uwe Burckhard, Dr. Barbara Herrmann, Martin Wegner und Hans Wiese sehr produktiv und angenehm war. Dafür soll besonderer Dank gesagt sein! Das Kunstarchiv Beeskow stellt erstmalig Werke der Laienkunst in einer speziell ihr gewidmeten Ausstellung aus. Es gibt dafür keinen besseren Ort als das Dokumentationszentrum DDR-Alltagskultur! Handelt es sich doch beim Laienschaffen um einen Bestandteil populärer kultureller Lebensgestaltung von damals. Der Ausstellungstitel „Freizeit, Kunst & Lebensfreude“ greift DDR-Sprache auf, will die authentische Programmatik aber bewusst als Ausschnitt gelebten Lebens verstanden wissen. Die Fotoserie aus dem ehemaligen Grafikzentrum Pankow gibt Einblick in die Atmosphäre von Freizeitkunst, Kommunikation und Geselligkeit.

Einst wies die offizielle Statistik 70.000 Mitglieder in 5000 Zirkeln für Malerei und Grafik, für Plastik und Keramik, für Schnitzen und Holzgestaltung sowie für Textilkunst aus. Ungeachtet der eher euphorischen Zählung war das „Bildnerische Volksschaffen“ - wie das nebenberufliche Laienschaffen offiziell benannt wurde - eine breite, kulturelle Bewegung. Sie stand im Spannungsfeld von Kulturpolitik, lenkender Vermittlung und materieller Förderung, vor allem durch Staat und Kommunen, Gewerkschaft und Betriebe, Schulen und Hochschulen sowie durch die Jugend- und Frauenorganisation und den Kulturbund, nicht zuletzt durch den VBK-DDR, dessen Mitglieder vielerorts als Zirkelleiter tätig waren.

Die ausgestellten Arbeiten gehörten zum ehemaligen Besitz vor allem des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und des Kulturbundes sowie verschiedener kultureller Einrichtungen. Sie wurden als Sammlungsbestände und zum öffentlichen Gebrauch angekauft. Dabei fungierten die obengenannten „Träger“ als Auftraggeber oder sie erwarben u. a. Werke der Malerei, Grafik und Plastik in Ausstellungen. Dieser Bestand kann also keine repräsentative Auswahl des DDR-Laienschaffens sein.

Um ein differenziertes Bild der künstlerischen Qualität der bildenden und angewandten Kunst vermitteln zu können, wären z.B. der Fundus im Archiv der Akademie der Künste, die Ankäufe des Museums Junge Kunst in Frankfurt(O) und die Sammlung des Museums Europäischer Kulturen Berlin-Dahlem hinzuzuziehen. Das war nicht beabsichtigt, zumal hier auch nur ein Bruchteil der in Beeskow archivierten Arbeiten gezeigt werden kann und die Bereiche der angewandten Kunst, wie die der Textilgestaltung, ausgespart bleiben mussten.

Heute sind 54 Ausstellende, darunter 10 Künstlerinnen, mit ca. 70 Werken vertreten. Die relativ geringe Anzahl von Exponaten zeigt dennoch eine Vielfalt der von den Amateuren bevorzugten Genres und Themen, darunter Landschafts- und Porträtmalerei, Darstellungen der Arbeitswelt und des Alltags sowie literarischer Rezeptionen und politischer Anliegen, nicht zuletzt Reiseerlebnisse.

Die vorwiegend in den 1970er- und beginnenden 80er- Jahren entstandenen Arbeiten drücken den Zeitstil der ästhetischen Wahrnehmung von Realität aus, sind eine realistische Kunst. Naturnahe Widerspiegelungen und erzählende Geschichten stehen neben Individualisierungen in der Porträtkunst und kritischen, mitunter satirischen wie drastisch realistischen Interpretationen. Neben Öl- und Aquarellmalerei fällt vor allem die Präsenz vielfältiger grafischer Techniken, wie Holz- und Linolschnitt, Lithographie, Siebdruck, Aquatinta, Kaltnadel u. a., auf. Die Plastiker sind mit Bronze- und Spritzguss sowie mit Gips-, Ton- und Holzarbeiten vertreten.

 Ute

Wer sind die Ausstellenden? Keineswegs sind sie anonym, aber sie tragen auch nicht die Namen bekannter DDR-Künstler. Sie waren bzw. sind jedoch in ihrem unmittelbaren Lebensumkreis keine Unbekannten. Sie stellten (und tun dies mitunter auch heute noch) in Ausstellungen des In- und Auslandes aus, vor allem aber in ihrem Lebensumfeld, dabei in ihrem beruflichen Wirkungsbereich als „Kollegen von nebenan“. Hauptberuflich waren sie Ingenieure, Werbegestalter, Dekorationsmaler, Fotografiker, Retuscheur, Glasmaler, Kunsterzieher/in, Arzt, Technologe, Ökonom, Angestellter, Bote, darüber hinaus Schiffsreparaturschlosser, Aufzugsmonteur, Maschinenbauer, Waldarbeiter und Bau-Maler.

Diese Aufzählung macht deutlich, dass das Laienschaffen nicht mehrheitlich von „Arbeitern und Genossenschaftsbauern“ - wie politisch gewollt - repräsentiert wurde. Zugang fanden vielmehr Angehörige von Berufsgruppen, die durch professionelle oder familiäre Voraussetzungen begünstigt waren, nicht zuletzt Hausfrauen und Rentner. Inzwischen sind Einige von ihnen verstorben. Viele sind nach Brüchen in ihrem Arbeits- und Lebensumfeld seit der „Wende“ Ruheständler und/oder freie Künstler. Das Statement „Ich male, also bin ich“ drückt ihr Credo aus: Wir betrieben und betreiben Kunst als wichtigen Lebensinhalt!

Die Ausstellenden waren in der Regel Mitglied in einem Mal- und Zeichenzirkel, so beispielsweise in den Reichsbahnausbesserungswerken in Berlin und Potsdam, im Halbleiterwerk Frankfurt/0, im Braunkohlenkombinat Senftenberg, im Martin –Hoop - Werk Zwickau, am Kulturhaus der Glasarbeiter Weißwasser, im VEB Narva Berlin, im Barkaswerk Karl-Marx-Stadt oder Mitglied des Grafikzentrums Pankow und Absolventen von Förderklassen.

 Ute
Ihre künstlerische Qualifizierung verdanken sie insbesondere den anleitenden akademischen Künstlern. Hier in der Region bzw. in Berlin und Brandenburg, gilt der Dank der Ausstellenden vor allem Werner Voigt, Günter Neubauer von Knobelsdorf, Walter Kreisel, Christian Heinze, Wolfgang Speer, Dagmar Glaser-Lauermann und Arnold Pemman. Dem Berliner Maler Arnold Pemman haben wir stellvertretend für alle anderen, auch für die Zirkelleiter aus dem Kreis der Laienkünstler, eine Anerkennung zukommen lassen. Er ist in der Ausstellung mit seiner Ölmalerei „Meine Freunde vom Zirkel“ vertreten.

 Ute
Arnold Pemman „Meine Freunde vom Zirkel“

Nach dem Ende der DDR waren die Träger der Kulturarbeit weitgehend abgewickelt. Gruppen und Zirkel büßten ihre Unterstützung ein und lösten sich auf. Einige wenige bestehen fort. Auch das möchte die Ausstellung zeigen. Die präsentierte Zirkelchronik wird bis heute fortgeschrieben vom gegenwärtigen Kunstverein MAL-HEURE, der seit 2009 den ehemaligen Berliner Zirkel am Institut für Nachrichtenwesen und das bekannte Studio Otto Nagel vereint.

Die Ausstellung könnte die Frage aufwerfen, ob und inwieweit den DDR- Laienkünstlern bzw. dem DDR -Laienschaffen überhaupt eine Spezifik/Besonderheit zukommt? Mitunter äußern vor allem Interessenten aus dem westlichen Ausland – natürlich jenseits der offiziellen Meinungsbildung - ihre begeisterte bis idealisierende Bewunderung. Sie sprechen von der Einmaligkeit dieses kulturellen Phänomens.

Da sind wir selbst schon etwas kritischer! Zunächst: „Kreativität der Vielen“ hat es schon jenseits der DDR gegeben und sie lebt sich in verschiedenen Spielarten auch in der Gegenwart aus. Für die Vergangenheit können wir uns der Geschichte der Kunst, besonders die der sogenannten Outsider Art, bedienen. (Eine aktuelle Ausstellung im Folkwang - Museum Essen widmet sich gerade dem Miteinander von In- und Outsider Kunst!)

Die Kunstgeschichte kennt spätestens seit dem 19. Jahrhundert in Europa die „Sonntagsmaler“, die nicht nur - wie die traditionellen Volkskünstler - auf dem Lande, sondern auch in den Städten zu Hause waren. Ihre tümelnden bis meisterhaft poesievollen Bilder wurden zunächst von der offiziellen bürgerlichen Kritik verlacht und missachtet bis sie z.B. von den Neoimpressionisten in deren Salonausstellungen und schließlich seit Beginn des 2o. Jahrhunderts in den Kunstmarkt einbezogen wurden.
Wir denken dabei nicht nur an den Klassiker unter den sogenannten „Naiven Malern“, den Zöllner Henri Rousseau, sondern auch an die unüberschaubare Gruppe von malenden Waldarbeitern, Tagelöhnern, Postbeamten, Gelegenheitsarbeitern, Zirkusclowns, Bauern und Handwerkern. Ihr bekannt gewordenes Werk verkörperte ein „ursprüngliches“, oft expressiv exotisches Verhältnis zur Realität und hatte gerade darüber Verbindung zu den Bemühungen der künstlerischen Avantgarde gefunden.

Während der Ruhrfestspiele in den 1980er- Jahren begegneten sich in Recklinghausen die „Malenden Kumpels an der Ruhr“ mit den „DDR-Freizeitkünstlern“ (bzw. deren Werken). Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Präsentationen wurden deutlich. Die Festspiele stellten sich als ein Zentrum für Naive Kunst und einen Treff für Laienkünstler vor. 1956 hatte die Stadt Recklinghausen begonnen, eine Sammlung von zeitgenössischer Laienkunst und von Klassikern der Naiven Kunst aus verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern aufzubauen. Diese Traditionslinie spiegelten die ausgestellten Arbeiten der malenden Kumpel. Verbunden mit der bergmännischen Arbeit, mit Festen und Freizeit verkörperten die im „naiven“ Duktus verhafteten farbenfreudigen Arbeiten ein außerordentlich starkes soziales Ethos.

Mag dieses das Kunstschaffen der Amateure aus dem Ruhrgebiet und aus der DDR verbunden haben. Die bildhafte Präsentation unterschied sich.
Die Exponate der hiesigen Ausstellung, etwa in der gleichen Zeit entstanden, lassen – sicher auch Sie - die Verschiedenheit vermuten. Das Motto der gewerkschaftlichen Ruhrfestspiele bezog sich allerdings ebenso wie die DDR- Programmatik auf die alte Forderung der deutschen Arbeiterbewegung „Kunst für Alle“ oder das Postulat „Die Kunst gehört dem Volke“. Die sozialgerechten, aber weitgehend utopischen und sozialromantisch gehändelten Prämissen bleiben bis heute mit einem Fragezeichen versehen.

Allerdings dürfte unbestritten sein, dass in der DDR umfassende Voraussetzungen für eine vielfältige Kultur- und Kunstaneignung durch breite soziale Schichten geschaffen waren. In diesem Kontext kommt auch dem Laienschaffen besondere Bedeutung zu. Eine faire Bilanz heute kann allerdings nicht übersehen, dass der DDR-eigene Kulturbetrieb auch verbunden war mit Reglementierungen, ideologischer Beeinflussung, Überorganisation, Privilegierung und Ausgrenzung, schließlich mit Verschwendung.

Bleibt als Resultat, was wahrnehmbar an künstlerischem Potential geschaffen wurde. Es sollte bewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Gewinn eines Diskurses über das DDR-Laienschaffen ist vor allem auch durch die Akteure selbst gegeben. Ihre Porträts, ihre Lebensläufe, ihre Wege zur Kunst können Beeindruckendes aussagen. Der bekannte DDR-Wirtschaftshistoriker Jürgen Kuczynski empfahl mir einmal mit ausdrucksstarker Miene: „Kindchen“ (so nannte er ja jeden, der mindestens ein Jahr jünger war als er), also ‚Kindchen’, schreib doch weniger über Kulturpolitik und Kunst, sondern mehr über die Akteure und ihre Kunst!“. Ich versuchte, Kuczynskis Zeigefinger zu verstehen und beschäftigte mich in mehreren Projekten mit Autobiographischem von Freizeitkünstlern.

Unser Anliegen ist es - auch mit dieser Ausstellung - die Erfahrungen und Erinnerungen der Zeitzeugen, die gelernt hatten, kreativ zu sein und dies auch heute noch mehrheitlich sind, wert zu schätzen. Ihnen ist die Ausstellung gewidmet!

 Ute